Ausgehend von migrantischen Kinematographien Westeuropas beschäftige ich mich in einem Forschungsprojekt gemeinsam mit Matthias Christen mit der Frage, wie sich die zunehmende Internationalisierung der Film- und Fernsehproduktion und die Migration von Narrativen, Genres und Personen im Kontext verwandter Theoriedebatten zu den kulturellen Dimensionen der Globalisierung (Appadurai), der Kreolisierung (Glissant) und des Kosmopolitanismus (Appiah) begrifflich fassen lassen. Eine zentrale Frage des Projektes ist in diesem Zusammenhang, ob die Migration und die damit verbundene kulturelle Produktion nicht dabei sind, sich vor dem Hintergrund zunehmend transnationaler Lebens- und Gesellschaftsentwürfe von einem retrospektiven Sonder- zu einem zukunftsweisenden Modellfall zu verwandeln. Methodisch orientiert sich die laufende Forschung mit Blick auf das gleichermaßen transnationale und -disziplinäre Vorhaben an unterschiedlichen Ansätzen: der Narratologie und Genretheorie, den Postcolonial Studies ebenso wie an den aufkommenden Production Studies.
Der Kosmopolit, der sich in einer globalisierten Welt zwischen Nationen, Märkten und Identitäten wie selbstverständlich bewegt, avancierte in den letzten Jahren zu einer Schlüsseltrope zeitgenössischer Identitätsbildung und Selbstverständigung. Der Kosmopolitismus dient in diesem Zusammenhang als Inbegriff einer neuen Haltung zu internationalen Verflechtungen sowie Geld- und Menschenströmen zwischen Kontinenten und Nationen. Gegenüber den Nationalstaaten rücken einzelne Akteure, die moralisch und politisch der Idee einer Weltgesellschaft verpflichtet sind und im Bewusstsein der notwendigen Akzeptanz Anderer agieren, ins Zentrum einer kulturpolitischen Debatte. In der Vorstellung einer Bewegung auf eine Weltgesellschaft hin, die aus gleichberechtigten und selbstbestimmten Bürgern unterschiedlichster Herkunft besteht, schwingt eine utopische Haltung mit, die historisch auf die Aufklärung zurückgeht und in Zeiten der Internationalisierung und Globalisierung ein Gegenangebot zu vorherrschenden hegemonialen Strukturen der Realpolitik macht. Die Idee einer Weltgesellschaft wird – dies die Arbeitshypothese der Konferenz – im zeitgenössischen Kino aufgegriffen und ausgeformt, indem Welt- und Gesellschaftsmodelle entworfen werden. Das Medium Film wird auf diese Weise im globalen Netz von Bewegungs- und Entwicklungsströmen einer Zweiten Moderne zu einem kosmopolitischen Akteur.
Im Rahmen des Projektes haben wir vom 3.–5. April 2014 eine internationale Konferenz mit dem Titel „Cosmopolitan Cinema. Arts and Politics in the Second Modernity“ an der Universität Bayreuth veranstaltet. Weitere Informationen zur Konferenz und zum Forschungsprojekt sind hier zu finden.
Ziel der internationalen Tagung war es, die gegenwärtigen Debatten zum Kosmopolitismus, die bisher in der Forschungsgemeinschaft vorrangig in den Politik-, Rechts- und Sozialwissenschaften geführt werden, in einem kulturwissenschaftlichen Kontext aufzugreifen und auf die Künste – insbesondere das Kino – zu beziehen. Es ging dabei um den interdisziplinären wie den internationalen Austausch von Wissenschaftler*innen, um die Wechselwirkungen zwischen theoretischen Konzepten und künstlerischen Artefakten und um die Reflexion von historischen und utopischen Gesellschaftsentwürfen, die in und mittels Medien durchgespielt werden. Darüber hinaus ging die Konferenz der Frage nach, in welcher Form das Kino im Sinne eines utopischen Ausgriffs in die Zukunft Modellcharakter für gesellschaftliche Entwicklungen übernehmen kann, woraus sich nichts weniger als die Frage nach einer kinematographischen Epistemologie ergibt.
Im Aufsatz Für eine Theorie des kosmopolitischen Kinos. Literaturbericht und Forschungsprogramm, der in der „montage AV“ 2015 veröffentlicht wurde, haben wir eine erste Skizzierung unseres Ansatzes formuliert.
Aktuell sind wir dabei, den Sammelband Cosmopolitan Cinema. Kunst und Politik in der Zweiten Moderne fertigzustellen, der demnächst beim Schüren-Verlag erscheinen wird.